Egal, ob sie Tee, Schmuck oder Wein und Fisch verkauft, ein Bekannter verliert sie nie aus den Augen. Er ist einer der
Presse-Institutionen der Insel, macht Fotos von jeglicher Prominenz und pendelt zwischen Hamburg und Sylt. Bis vor Kurzem hatte er auch ein Mini-Restaurant, welches mitten an der
Friedrichstrasse lag und so er die richtige Aussicht auf das rege Treiben hatte.
Er bietet ihr an, ihn bei den Pressefotos zu unterstützen, da in der Hauptsaison ein Termin den anderen jagt, er nicht
gleichzeitig an zwei oder drei Stellen sein kann und lässt sie so nicht vergessen, was sie machte, bevor sie auf Sylt anfing zu arbeiten. Events und Prominenz gibt es genug, die
Inselredakteure sind gut beschäftigt. Es teilen sich verschiedene Zeitungen, Radiosender und eigenes Insel-TV die Medienlandschaft und sorgen dafür, dass die Einwohner und Touristen
informiert und unterhalten sind, bieten auf ihren Seiten Unternehmern und Privatpersonen die Möglichkeit, sich zu präsentieren.
Lilly reißt sich gerne vom Wein und den Gästen los, um Politikprominenz Schäuble in der Keitumer Kirche im Kreise der
Musikstudenten beim Orgelkonzert abzulichten oder beim berühmten Krebsessen einer Unternehmersfamilie, wo sich Sänger, Schauspieler, Fernsehmoderatoren, Sendungsmacher, Industrielle - von
Shanti-Chören unterhalten und Gastro-Profis bekocht - treffen, Fotos zu machen.
"In der Kürze liegt die Würze.", bekommt sie von einem erfahrenen Zeitungsmacher einen wirksamen Tipp, als er sieht, dass sie
ohne Ende schreibt, sich das Wissen, die Neugier und ein weitläufiger, tiefer Pool an Erinnerungen mitsammen zu einem unendlichen Wortschwall verbinden. Kurz ist ab nun ihr neues
Lieblingswort.
Und Zurückhaltung das Zweite, seit sie ein bekannter und zum Glück nicht zu groß gewachsener Sport-Sendung-Profi persönlich
mit einem festen Griff am Oberarm dazu anhält, die eben geschossenen Fotos von ihm und seiner neuen, noch privat gehaltenen Liebschaft, nicht zu veröffentlichen. So nah wollte sie ihm gar nie
kommen. Witzig, dass sie gerade vor einem Häuschen - genannt Waterküken - in Kampen steht, dass er sich kaufen wollte und welches mit seinem Quadratmeterpreis von 160000 Euro zur weltweit
teuersten Wohnfläche zählt.
Ein Stück weiter liegt die Kupferkanne - ein idyllisch gelegenes Café,
welches sich aus einem ursprünglichen Bunkergebäude und Künstleratelier entwickelt hat. Um das Haus wurden 30000 Kiefern angebaut, in denen freilaufende Pfaue leben und es schon mal vorkommen
kann, dass einer mit seinem bunten Gefieder vorbeistolziert. Bis sie vom hausgemachten Kuchen weg und aus den verwinkelten Gängen des Cafés und dem Kampener "Urwald" - der Lunge Sylts -, der
den Blick zum Himmel verhängt, wieder herausfindet, kann es schon sein, dass Lilly vergisst, dass sie sich auf einer Insel befindet.